Wohl kein Patient assoziiert mit dem Begriff Zahnnervziehen (Wurzelkanalbehandlung) positive Gefühle, sondern eher eine Tortur, die man möglichst schnell und erfolgreich hinter sich bringen möchte. Hierzu hat die moderne Zahnmedizin einige bahnbrechende Innovationen generiert.
Ziel der Wurzelkanalbehandlung ist der Erhalt des Zahnes, dessen Pulpa (Zahnnerv) vital (noch lebend) aber irreversibel entzündet ist oder devital (abgestorben) ist. Hierbei wird das vitale/devitale Pulpagewebe mittels Wurzelkanalfeilen entfernt, ebenso wie das umgebende infizierte Wurzeldentin. Abschließend wird der Wurzelkanal mit einer Wurzelfüllung bakteriendicht verschlossen. Damit es nicht zu einer Reinfektion des Wurzelkanalsystems kommt, ist zusätzlich eine bakteriendichte Füllung/Krone erforderlich.
Begonnen hat die Entwicklung der Wurzelkanalbehandlung mittels manueller Handfeilentechnik (dies wird auch heute noch praktiziert). Da die meisten Wurzelkanäle eng und gekrümmt sind, gibt es hierbei mehrere Risiken: 1. es kann zur Fraktur (Bruch) der Feile kommen. Gelingt es nicht das abgebrochene Teil aus dem Wurzelkanal zu entfernen (dies ist nicht selten der Fall), so ist eine bakteriendichte Wurzelfüllung nicht möglich. 2. die Stahlfeile folgt der Krümmung des Wurzelkanals auf Grund ihrer Steifigkeit widerwillig und könnte die Wurzel seitlich perforieren. Diese Perforation zu verschließen ist nicht immer erfolgreich möglich: der Zahn wäre verloren.
Um zu wissen, wie tief die Feile in die Wurzel eingebracht werden darf, benötigt man eine Information über die Wurzellänge. Hierzu bedient man sich auch heute noch der sogenannten Röntgenmessaufnahme: eine Feile wird in den Wurzelkanal bis zur vermuteten Länge eingeführt und ein Röntgenbild erstellt. Auf dem Röntgenbild sieht man die Feile und so kann man die Wurzellänge recht exakt bestimmen. Später kam als weitere Technik die endometrische Längenbestimmung hinzu: wieder wird eine Feile in den Wurzelkanal eingeführt, wobei das Endometriegerät einen schwachen für den gesunden Patienten unschädlichen Strom fließen lässt. Über eine Änderung des elektrischen Widerstandes in Abhängigkeit der Tiefe der eingeführten Feile lässt sich dabei die Wurzellänge ebenfalls gut bestimmen.
Warum ist die Wurzellänge so wichtig? Würde man die Feile über die Wurzelspitze hinaus, also in den darunter liegenden Knochen hinein bewegen (Überinstrumentierung), so könnte man wichtige anatomische Strukturen verletzen. Darüber hinaus wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass die spätere Wurzelfüllung ebenso über die Wurzelspitze hinaus in den Knochen erfolgt. Beides könnte im Unterkieferseitenzahnbereich zur Schädigung des Unterkiefernervs (zeitlich begrenzte oder lebenslang taube Lippe) und im Oberkieferseitenzahnbereich zur Kieferhöhlenentzündung führen.
Nach jahrelanger Forschung und erfolgreicher Erprobung wurde das sogenannte VDW Gold Reciproc System entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein elektronisch gesteuertes maschinelles Wurzelkanal-Aufbereitungssystem mit folgenden Vorteilen:
- Es werden keine Stahlfeilen, sondern sogenannte superelastische NiTi-Feilen verwendet, die aufgrund ihrer extremen Elastizität auch einem stark gekrümmten Wurzelkanal ohne zu brechen folgen. Da diese Feilen im Gegensatz zu Stahlfeilen nur einmal benutzt werden, wird das Risiko eines Ermüdungsbruchs deutlich reduziert.
- Es besitzt einen eingebauten Endometrie-Modul (s.o.), das heißt während der Wurzelkanalaufbereitung erhält der Behandler optische und akustische Signale, wie tief die Feile bereits in den Wurzelkanal eingeführt ist, womit eine Überinstrumentierung (s.o.) verhindert wird. Durch eine Eigenkalibrierung, abgestimmt auf die Bruchgrenze der Feile, wird die maschinelle Wurzelkanalaufbereitung vor Erreichen der Bruchgrenze der Feile elektronisch gestoppt (Verhinderung des Feilenbruchs).
- Feile und Wurzelfüllung (Guttaperchastift) sind passgenau auf einander abgestimmt (bakteriendichte Wurzelfüllung).
Im Gegensatz zur manuellen Wurzelkanalaufbereitung, die bei mehrwurzeligen Zähnen durchaus mehrere Stunden betragen kann, wird durch obiges maschinelles Vorgehen die Behandlungszeit deutlich reduziert (weniger Stress für den Patienten) und die Risiken für einen Misserfolg und eine Schädigung des Patienten minimiert.